Vorschriften und Verbote

Warum gibt es in der Kirche so viele Vorschriften und Verbote?

 

Die einfachste Antwort auf diese Frage ist wohl: Wenn wir uns auf Erden „gut“ verhalten, dann kommen wir direkt in den Himmel. Und damit wir wissen, was denn „gut“ ist, sagt uns das die Kirche in Form von Vorschriften und Verboten. Das ist übrigens keinesfalls polemisch oder ironisch zu verstehen: Praktisch jede Religion hat neben ihren Vorstellungen über Gott bzw. Götter, das Jenseits, das Leben nach dem Tod usw. auch eine Dimension, die sich auf die Frage bezieht: Wie soll ein Gläubiger in seinem alltäglichen Leben leben?

 

Die Antworten auf diese Fragen sind zumindest in den großen Religionen unserer Welt nicht als Gängelung gedacht, als Einengung der Freiheit des Einzelnen, sondern als Unterstützung für die Menschen, damit ihr Leben und das Zusammenleben mit anderen gelingt. Für viele Kulturen und Religionen ist dieses Zusammenleben in einer Gemeinschaft sogar das wesentlich Entscheidendere als die individuelle Freiheit (v.a. in Asien, aber auch in Afrika).

 

Im christlich-katholischen Kontext allerdings haben wir eine sehr umfassende Vorstellung von der Freiheit eines jeden einzelnen Menschen – aber auch hier gilt: Die Gebote und Verbote sind an sich in erster Linie zur Unterstützung des Menschen da, um ihm seine Lebensgestaltung zu erleichtern, um nicht immer in jeder Situation fragen zu müssen: Ist das jetzt richtig, was ich tue? Dieses Regelwerk (momentan wohl am dichtesten zusammengefasst im Katholischen Weltkatechismus) fußt zum einen auf der Bibel, den biblischen Vorstellungen vom Menschen und vom Zusammenleben in einer Gesellschaft – an zentraler Stelle sicherlich das Gebot der Nächstenliebe –, zum anderen in der 2000jährigen Tradition der katholischen Kirche, die nach katholischem Verständnis ebenfalls eine Quelle der Offenbarung Gottes in der Welt ist, und damit auch über das, was er von den Menschen will.

 

Dass sich viele Menschen dennoch eingeengt fühlen von so vielen Vorgaben und diese nicht unbedingt als Unterstützung verstehen, liegt wohl an verschiedenen Dingen:

  • Die Kirche ist eine weltumspannende Gemeinschaft. Was aber in Europa sinnvoll erscheint, muss es nicht zwingend in Afrika oder Asien sein – in einem ganz anderen kulturellen Kontext –, und umgekehrt. In der Weltkirche treffen viele ganz unterschiedliche Ansichten aufeinander, die ausgehandelt werden müssen – und nicht immer gewinnt Europa!
  • Die Kirche ist schon eine relativ alte (traditionsreiche) Institution. Viele Vorschriften wurden in ganz anderen Zeiten aufgestellt, heute erscheinen sie vielen nicht mehr als sinnvoll. Dass ihre „Anleitungen zum Leben“ immer wieder der jeweiligen Zeit angepasst werden müssen, hat die Kirche auch erkannt und sich daher im II. Vatikanum selbst aufgefordert „immer wieder die Zeichen der Zeit zu deuten“ – also die Gegenwart zu analysieren – „und im Lichte des Evangeliums zu deuten“ – und diese auf der Grundlage des christlichen Glaubens, insbesondere der Bibel zu bewerten und daraus Empfehlungen für die Lebensgestaltung des Einzelnen und für die Gestaltung der Gesellschaft abzuleiten. Dieser Prozess mag manchmal als sehr langsam erscheinen und ist es in einer so großen Institution wie der Kirche wohl auch des Öfteren – insbesondere in Zeiten stürmischer Veränderungen, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten erleben. Manchmal ist ein solches Beharren aber vielleicht auch gar nicht schlecht, denn es stellt manchen Fortschrittsoptimismus und manches allzu schnelle Überbordwerfen moralischer Grenzen – z.B. beim Schutz des Lebens, insbesondere an dessen Anfang und Ende – immer wieder in Frage und zwingt zu einem wiederholten gesellschaftlichen Nachdenken darüber.
  • Wir leben in Europa in demokratischen Gesellschaften und sind gewohnt, uns unsere Meinungen kritisch zu bilden, sie zu äußern und darüber (öffentlich) zu diskutieren. Insbesondere in Glaubensfragen wollen wir darauf natürlich nicht verzichten. Schließlich sind diese Fragen für uns meistens auch sehr wichtig. Nun bezieht das kirchliche Lehramt – Papst und Bischöfe – in ethischen und moralischen Fragen (darum handelt es sich hier nämlich) so gut wie nie allgemeingültige und unhinterfragbare Positionen. Nichts desto trotz erweckt die Art des kirchlichen Sprechens bei den Menschen offensichtlich bisweilen diesen Eindruck. Und der hierarchische Aufbau der Kirche trägt ebenfalls seinen Teil dazu bei, Diskussionswillen nicht unbedingt zu fördern. Der einzelne Gläubige ist einerseits mit gesellschaftlichem, andererseits mit kirchlichem Sprechen konfrontiert – und diese funktionieren nach unterschiedlichen Logiken. Nicht wenige neigen dazu, aufgrund dessen das kirchliche Sprechen als der heutigen Zeit nicht angemessen abzulehnen.

Neben diesen Vorgaben für das Leben kennt die Kirche Vorschriften und Verbote auch in Form des Kirchenrechts. Dieses ist zuständig v.a. für die Handlungsabläufe innerhalb der Institution Kirche und ist damit von seiner Form in weiten Teilen in etwa vergleichbar mit der Satzung eines Vereins oder den Vorgaben über Organisationsabläufe in Unternehmen. Vom Verständnis her gehört es allerdings zur Identität der Kirche als Gemeinschaft, die aus der Sendung Jesu an die Apostel entstanden ist. Soweit das Kirchenrecht sich aus dem Verständnis der Offenbarung Gottes oder der Schöpfungsordnung herleitet, ist es göttliches Recht. Seine konkrete Verwirklichung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Kultur ist menschliches Recht.

 

Eine letzte Form von Vorschriften schließlich ergibt sich aus den so genannten dogmatischen Wahrheiten: Hier definiert die Kirche (genauer: der Papst bzw. die Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst), was richtig ist zu glauben und was nicht. Sie grenzt sich damit von anderen Glaubensrichtungen bzw. Häresien ab und schreibt ihren Gläubigen an diesen Stellen verbindlich vor, was katholischer Glaube ist. Dogmen sind „Wahrheiten, die in der göttlichen Offenbarung enthalten sind“. Ein Dogma der alten Kirche ist z.B., dass Jesus Christus zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott war und nicht irgendwie das eine mehr und das andere weniger. Ein jüngeres Dogma ist das von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.

 

Ihr seht: ein kompliziertes Feld ...

„Ich bin glücklich auf dem Land, weil man do d’Weißwurst no vor 12e isst.“
Stefan